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Wechselwirkungen von Medikamenten

Polypharmazie ist definiert als die Einnahme von mehr als fünf verschreibungspflichtigen Medikamenten gleichzeitig (Glaeske et al. 2010). Bei dieser Anzahl an Wirkstoffen sind weder Interaktionen noch Nebenwirkungen für den Arzt oder den Patienten mehr überschaubar.

Beunruhigende Zahlen wurden im Jahr 2003 von Werder und Preskorn für die USA veröffentlicht. Demnach haben die Personen >= 65 Jahre in den USA einen Anteil von unter 15% der Bevölkerung (bei uns 21%), aber sie erhalten 33% der verschriebenen Medikamente. Sie kaufen zusätzlich 40% der nicht-verschreibungspflichtigen Medikamente. Die durchschnittliche Anzahl der verschriebenen Medikamente liegt bei 3-5 pro Person, nicht gezählt dabei sind nicht verschreibungspflichtige Medikamente oder Kräuterzubereitungen. Die Prävalenz der Polypharmazie für diese Altersgruppe beträgt nach den Autoren in den USA etwa 7%. Die Kosten für diese Medikamente summieren sich auf ca. 3 Milliarden US-Dollar jährlich. Die Schätzungen für Schweden und Deutschland liegen mit 30% und 39% noch deutlich höher. In den Niederlanden wird die Prävalenz der Polypharmazie dagegen nur auf 4% geschätzt, allerdings erhalten hier 69% der Senioren 2 bis 4 Medikamente (s. Tab. 3).

Die Risikofaktoren für Polypharmazie sind Vorerkrankungen wie hoher Blutdruck (OR*=6,0) oder Diabetes Mellitus (OR= 3,7) sowie der Schweregrad einer unerkannten Depression (OR=2,1 bis 2,5), zunehmendes Alter (OR=2,5), kürzlicher Krankenhausaufenthalt oder Pflegeheimunterbringung (OR=2,4) und weibliches Geschlecht (OR=1,6 bis 1,7) (Granados-Ponce et al. 2007; Rozenfeld et al. 2003; Simons et al. 1992). Die Odds Ratio (OR) gibt die Rate an, mit welcher die Personen, auf die der Risikofaktor zutrifft, häufiger von der Zielvariable (hier: Polypharmazie) betroffen sind: Beispiel: Frauen waren 1,6 mal so häufig von Polypharmazie betroffen wie Männer (OR=1,6).


Tabelle 1: Polypharmazie bei Patienten, die 65 Jahre oder älter sind, in europäischen Ländern und in den USA nach Analyse von Patientendatenbanken

Land

>= 5 Medikamente

Zusätzliche Angaben

Quelle

USA (Frauen)

23 %

12 %: >= 10 Medik.

Kaufmann et al. 2002

USA

7 %

-

Werder und Preskorn 2003

Niederlande

4 %

69 %: 2-4 Medik.

Veehof et al. 2000

Schweden

39 %

-

Jörgensen et al. 2001

Deutschland

30 %

4,2 %: >= 9 Medik.

Hansen et al. 2008



Die Zahlen zur Prävalenz der Polypharmazie entstammen Analysen von Patientendatenbanken der Krankenkassen, daher ist eine Überschätzung anzunehmen, da nicht alle verschriebenen Medikamente auch tatsächlich eingenommen werden. Gleichzeitig sind die nicht verschreibungspflichtigen Zubereitungen nicht berücksichtigt, so dass diesbezüglich eine Unterschätzung des Problems angenommen werden muss.

In einer kleineren „Face to Face“- Befragung in den USA wurde ebenfalls eine hohe Polypharmazierate festgestellt: Nach Loya et al. (2009) nahmen 38,5% von 130 Senioren (>=60 Jahre) mehr als fünf verschreibungspflichtige Medikamente ein. Zusätzlich verwendeten 16% zwei oder mehr Kräuterzubereitungen und 26% nahmen zusätzlich Vitamin- oder Mineralstoffzubereitungen.

Untersuchungen zu unerwünschten Wechselwirkungen der verschriebenen Medikamentenkombinationen bei Polypharmazie weisen weiterhin auf die praktische Relevanz des Problems hin. Nach Hansen et al. (2008) wurden 2,2 mittlere oder schwere Wechselwirkungen pro Person festgestellt, die >=10 verschreibungspflichtige Medikamenten erhielten. Nach Loya et al. (2009) nehmen 46% der >=60-jährigen Medikamentenkombinationen, von denen bereits bekannt ist, dass sie unerwünscht interagieren. Nach Larsen und Hoot Martin (1999) sind 20-25% aller Krankenhauseinweisungen in den USA bei den >=65 Jährigen auf unerwünschte Nebenwirkungen von Medikamenten zurückzuführen. Neben unerwünschten Wirkungsverstärkungs- oder Wirkungsverminderungs-Effekten sind häufige Nebenwirkungen bei >=65-jährigen Blutdruckschwankungen, Schwindel, Verwirrungszustände, Stürze und Knochenbrüche, Obstipation, Blutzuckerschwankungen, Arrhythmien u.a.m. (Hartikainen et al. 2007, Haefeli 2005) (vgl. Tab. 2).


Tabelle 2: Polypharmazie bei Patienten über 65 Jahren: Prävalenzschätzung potentiell risikoreicher Arzneistoffkombinationen (Hansen et al. 2008)

Analyse von deutschen Versorgungsdaten der Krankenkassen:
III. Quartal 2007, vor 1942 Geborene (n=1427)

>= 65-jährige

>= 5 Medikamente

29,8 %

>= 9 Medikamente

4,2 %

bei >=10 Medikamenten (n=62):
Mittlere oder schwere Wechselwirkungen (Anzahl)

138

Mittlere oder schwere Wechselwirkungen pro Person
mit >= 10 Medikamenten (Durchschnitt)

2,2

Verordnungen pro Arzt pro Patient

1,8