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Medikamente im Alter
Die Prävalenz der Einnahme von Medikamenten bzw. von mehreren Medikamenten ist im Alter hoch. Ein erheblicher Anteil dieser Medikamente sind zum einen Schmerzmittel und zum anderen Psychopharmaka. Ein hohes suchterzeugendes Potential weisen dabei insbesondere die Schlaf- und Beruhigungsmittel auf. Bei der Einnahme von Benzodiazepinen und Z-Substanzen besteht ein klares Abhängigkeitspotential schon nach 8 Wochen Einnahme in therapeutischen Dosen. In Richtlinien wird daher empfohlen, eine Einnahmedauer von 4 Wochen nicht zu überschreiten, um die Gefahr einer Abhängigkeitsentwicklung zu minimieren. Da die Krankenkassen verstärkt auf die Einhaltung dieser Richtlinien achten, kam es in den vergangenen Jahren zu einem Anstieg der Verschreibungen auf Privatrezepten (Hoffmann et al. 2009). Bei einem abrupten Absetzen von Benzodiazepinen besteht die Gefahr einer gefährlichen Entzugssymptomatik (u.a. Krampfanfälle). Bei gleichzeitiger Einnahme von Opioiden verstärkt sich das Suchtpotential gegenseitig.
Nach dem Epidemiologischen Suchtsurvey 2015 liegt die 30-Tagesprävalenz (Einnahme in den letzten 30 Tagen) von Schmerzmitteln in der Altersklasse 60-64 Jahren bei 37%. 7% nahmen Schlaf- oder Beruhigungsmittel und 5,8% Antidepressiva ein. Eine Aufteilung nach Geschlecht ergab folgende Häufigkeiten des Gebrauchs in den letzten 30 Tagen und macht deutlich, dass Frauen häufiger als Männern Medikamente verordnet werden:
Tabelle 3: 30-Tages-Prävalenz des Medikamentengebrauchs (nach Piontek et al. 2016)
Medikamentenart |
Männer |
Frauen |
Schmerzmittel |
34,3% |
39,7% |
Schlaf- und Beruhigungsmittel |
4,5% |
9,5% |
Antidepressiva |
5,0% |
6,5% |
Sehr häufig werden diese Medikamente auch kombiniert eingenommen. Von den 60-64-Jährigen Konsumenten von Schlaf- und Beruhigungsmittel (in den letzten 12 Monaten) haben 81,4% auch Schmerzmittel und 30,3% auch Antidepressiva eingenommen. Höhere Altersklassen waren bei diesem Survey nicht befragt worden (Piontek et al. 2016).
Von einem problematischen Gebrauch psychoaktiver Substanzen, vor allem Benzodiazepinen, sind schätzungsweise 8 %-13 % aller Menschen zwischen 60-64 Jahren betroffen (Rösner et al. 2008). Bedenklich stimmt, dass nicht nur mit der Altersklasse der problematische Gebrauch sowie die Abhängigkeit von Medikamenten zunehmen, sondern dass die Prävalenzraten deutlich zugenommen haben. Die Abbildung 1 zeigt den Vergleich der Jahre 2001 und 2006.
Abbildung 1: Prävalenz des problematischen Gebrauchs von Medikamenten in den Jahren 2000 und 2006 sowie die Abhängigkeit von Medikamenten nach Altersklassen (Quelle: Epidemiologischer Suchtsurvey 2000 und 2006 (Kraus et al. 2001 und 2008).
In der Altersklasse 50-59 Jahre lag im Jahr 2000 eine Medikamentenabhängigkeit bei 4,9% der Befragten vor, bei 5,9% wurde ein problematischer Gebrauch (nach dem Kurzfragebogen für Medikamentengebrauch, KFM) festgestellt. Im Jahr 2006 lag dieser Anteil bei 7,4%. Unter der Annahme, dass dieser Anteil in den höheren Altersklassen nicht abnimmt, betrifft dies ca. 1,25 Millionen Menschen in Deutschland über 65 Jahre.
In der Berliner Altersstudie lag der Anteil der über 69-Jährigen mit einer diagnostizierten Medikamentenabhängigkeit bei 0,5 % (Helmchen et al. 1996a,b). Allerdings nahmen ca. 20 % der Befragten regelmäßig Benzodiazepine ein. Aus einer anderen Berliner Studie geht nach Angaben des vierten Altenberichts (BMFSFJ 2002) hervor, dass – bezogen auf 70-Jährige und Ältere – 24,6 % mit Psychopharmaka behandelt wurden, davon allein 13,2 % mit Benzodiazepinen. 90 % nahmen diese als Dauermedikation, d. h. länger als 6 Monate und etwa 50 % täglich ein. Genauere Zahlen für ältere Menschen liefert eine Hamburger Studie zur Epidemiologie der Verschreibung von Medikamenten. Dabei wurden u.a. alle kassenärztlichen Verschreibungen von Benzodiazepinen in Hamburg über ein Jahr personenbezogen erhoben (Martens et al. 2011). 78.456 Personen wurden in diesem Zeitraum 194.143 Benzodiazepinrezepte verschrieben. Die Art und Länge der Verschreibungen lässt vermuten, dass bei 13.000 Personen ein Missbrauch vorliegt. Von diesen waren 60 % über 60 Jahre alt bzw. 22,8 % über 80 Jahre alt.
Risikofaktoren bei Einnahme von Psychopharmaka im Alter
Die gesundheitlichen Folgen langanhaltenden Medikamentenkonsums, sind abhängig von der Art des Mittels. Bei fortgesetztem Missbrauch von Benzodiazepinen kann es zu Schlafstörungen, Muskelschwäche, Koordinationsstörungen sowie Persönlichkeitsveränderungen kommen. Die Folgen äußern sich unter anderem in einer erhöhten Sturz- und Unfallgefahr.
Die Symptome der Benzodiazepinabhängigkeit im Alter sind (Geyer 2010):
- häufige Stürze
- Ataxie
- sozialer Rückzug
- nachlassende Körperhygiene
- Verwahrlosung
- Verwaschene Sprache
- nachlassende Leistungsfähigkeit
- Hirnleistungsstörungen, besonders amnestische Störungen („Pseudodemenz“)
- Antriebs- und Interesselosigkeit
Aus der fortgesetzten Einnahme von Schmerzmitteln können Dauerkopfschmerzen sowie Störungen der Nieren- oder Leberfunktion resultieren (Küfner 2010). Risikofaktoren für den problematischen Gebrauch oder Abhängigkeit von Psychopharmaka im Alter sind psychische und körperliche Störungen, Verlusterlebnisse, „allein leben“ sowie das weibliche Geschlecht. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Raucherinnen, sowie alkoholkonsumierende Frauen sind wiederum häufiger betroffen als Frauen ohne weiteren Konsum. Medikamentenabhängigkeit geht bei Frauen häufiger mit niedrigerem sozialem Status und sozialer Benachteiligung einher (Geyer 2010, Albayrak 2007).
Eine Hochdosisabhängigkeit von Medikamenten im Alter ist eher selten. Meistens handelt es sich um eine sogenannte Low-Dose-Abhängigkeit, d.h. Medikamentenverschreibungen werden ohne genaue oder mit falscher Indikationsstellung fortgesetzt (Förster & Thomas 2009). Jedoch kann es aus pharmakokinetischen Gründen, vor allem bei Benzodiazepinen mit einer langen Halbwertzeit, zu einer Kumulation des Wirkstoffs im Körper kommen. Dann ähneln die Effekte denen einer Hochdosisabhängigkeit (s. Wolter 2015). Die Priscus-Liste führt 83 potenziell inadäquate Medikamente für ältere Menschen und mögliche Verschreibungsalternativen auf. Es wird z.B. angeregt, langwirksame Benzodiazepine durch Z-Substanzen in einer niedrigen Dosierung zu ersetzten (Priscus-Liste).
Benzodiazepine werden häufig auch bei einer Alzheimer-Erkrankung gegeben. Benzodiazepine dämpfen möglicherweise die Agitiertheit dieser Personen, verursachen jedoch eine Verschlechterung kognitiver Funktionen und haben keinen Einfluss auf die Schlafqualität (Defrancesco et al. 2015).