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Stolpersteine
Die Begegnung zweier sehr unterschiedlich agierender Hilfesysteme kann zu einem erweiterten Verständnis des beruflichen Alltags der jeweils anderen Akteure führen. Eine Bereicherung nicht nur auf beruflicher, sondern auch auf einer persönlichen Ebene ist ein mögliches Ergebnis. Diese Erfahrung wurde in den Modellprojekten sehr häufig gemacht. Dabei ist es hilfreich, die differierenden rechtlichen Rahmenbedingungen zu kennen und das unterschiedliche professionelle Hilfeverständnis zu akzeptieren.
Altenhilfe ist nicht gleich Altenhilfe
Die Strukturen der Altenhilfe sind sehr komplex und die Mitarbeitenden unterschiedlich intensiv ausgebildet. Neben sehr gut und sehr lange ausgebildeten Pflegekräften sind in der Altenhilfe auch angelernte Kräfte beschäftigt, deren Ausbildungszeit nur wenige Wochen beträgt. Mitarbeitende der Hauswirtschaft und Alltagsbegleiterinnen und –begleiter haben häufig einen engen Kontakt zu den zu Pflegenden. Ambulante und stationäre Einrichtungen sowie betreute Wohnformen sind unterschiedlichen Anforderungen ausgesetzt. Die Bewohnerinnen und Bewohner gerontopsychiatrischer Einrichtungen haben häufiger eine Suchtbiografie, gleichwohl sind diese Einrichtungen personell besser ausgestattet. Dies gilt es bei der Planung von Schulungen oder anderen Maßnahmen zu berücksichtigen.
Suchthilfe trifft Altenhilfe – fremde Welten begegnen sich
Um eine erfolgreiche Vernetzung dieser beiden Hilfesysteme zu gewährleisten ist eine Reflexion über die unterschiedlichen Strukturen und Arbeitsweisen unumgänglich. Eine privatwirtschaftlich orientierte Arbeitsweise mit rigorosen Vorgaben durch die Krankenkassen und Druck durch Betreute und Angehörige begegnet einem System, welches vordergründig freier und reflektierter innerhalb ihrer „Komm-Strukturen“ arbeiten kann. Eine pragmatische Handlungsweise trifft auf ein zur Selbstreflexion und Veränderung anregendes Konzept. Die Pflege erwartet konkrete Handlungsideen, die sie im praktischen Umgang mit den Betroffenen schnell umsetzen kann. Diese hohen Erwartungen kann die Suchthilfe nicht erfüllen. Dies kann jedoch auch zu einer Entlastung der Mitarbeitenden der Altenhilfe über die Erkenntnis „doch nicht alles falsch gemacht zu haben“ führen.
Sprache
Unterschiedliche Ausbildungswege der Mitarbeitenden der Sucht- und Altenhilfe bedingen eine unterschiedliche Sprache. Sprachliche Kommunikation auch auf einer abstrakten Metaebene ist Bestandteil des Arbeitsalltags der Suchthilfe. Im Kontakt mit den Mitarbeitenden der Altenhilfe geht es jedoch weniger darum, therapeutische Ansätze zu reflektieren, sondern diese in konkrete Handlungsanleitungen zu übersetzen. Nur so kann die Suchthilfe wertvolle Hilfestellungen geben, die sich auch in den Pflegealltag integrieren lassen.
Abstinenzparadigma
In der Begegnung mit der Altenhilfe und der Problematik „Sucht im Alter“ kann ein enges Blickfeld der Suchtberatung auf ein Abstinenzparadigma eine konstruktive Zusammenarbeit behindern. Abstinenz ist im Alter nicht das vorrangige Ziel. Erst eine „Risikoanalyse“ kann darüber entscheiden, ob ein akuter Handlungsbedarf besteht.
„Suchtpolitik“ in Einrichtungen der Altenhilfe
Eine „Suchtpolitik“ bedeutet die Erarbeitung einer gemeinsamen Grundhaltung. In Diskussionen müssen von allen Mitarbeitenden getragene Verhaltensrichtlinien festgelegt werden. Darin kann z.B. festgelegt werden, dass grundsätzlich auf die Verwendung von Alkohol im Essen verzichtet wird und wieviel Alkohol für die zu Pflegenden eingekauft werden darf, da es dazu keine Richtlinien gibt. Das entlastet den einzelnen Mitarbeitenden, der in seinem eng getakteten Alltag mit solchen Fragen überfordert ist. Außerdem signalisiert es den zu Pflegenden, dass das Team als Einheit handelt.
„Alterspolitik“ in Einrichtungen der Suchthilfe
Eine „Alterspolitik“ bedeutet nicht nur, sich mit den Bedürfnissen und Lebenslagen alter Menschen auseinander zu setzen, sondern auch seine Strukturen diesen Bedürfnissen anzupassen. Dazu gehören z.B. eine mögliche Veränderung der Öffnungszeiten, das Angebot von Gruppensitzungen auch an den Vormittagen bzw. nicht ausschließlich in den Abendstunden, Barrierefreiheit und das Angebot von aufsuchenden Terminen, auch wenn dies nach der Erfahrung der Modellprojekte (noch) nicht häufig angefragt wird. Sofern die Suchthilfeeinrichtung über ein spezielles Angebot für ältere Menschen verfügt, sollte dieses offensiv „beworben“ werden. Die Erfahrung der Modellprojekte zeigt, dass ein Bedarf besteht, es aber auch einige Zeit braucht, um dieses Angebot bekannt zu machen.
Medikamentenmanagement
Problematischer Alkoholkonsum und problematischer Medikamentengebrauch unterscheiden sich gerade im Alter deutlich voneinander. Liegt z.B. eine Benzodiazepinabhängigkeit vor, so kann diese nur durch die weitere Vergabe auf Rezept aufrechterhalten werden. Fachkräfte der Suchthilfe sind hier nicht die ersten Ansprechpartner, sondern die behandelnden Ärztinnen und Ärzte. Während manche die Hinweise und Beobachtungen der Altenhilfemitarbeitenden als Unterstützung zum Wohle der Patienten verstehen, werden andere sich diese vermeidliche Einmischung in ihre Verschreibungsautonomie verbeten. Gerade für Mitarbeitende in der ambulanten Pflege ist es zudem schwierig und zeitaufwändig, die Ärzte zu erreichen und das hierarchische Gefälle zwischen Ärzteschaft und Pflege verhindert häufig eine offene Kommunikation. Dann ist es die Aufgabe der Leitungen mit den Ärzten zu kommunizieren.
Tipp: Veranstalten Sie eine „Medikamentencheckwoche“ mit engagierten Apothekerinnen und Apothekern!